Gründen Ü50 – für Doris Ivanschitz der beste Zeitpunkt
Eine langjährige Berufserfahrung nutzen und trotzdem hartnäckig Neues üben: Doris Ivanschitz setzt mit ihrem Start-up auf nachhaltige Bekleidung aus Kite-Segeln und die Unterstützung der Crowd.
Ein Start-up aufziehen mit richtig viel Berufserfahrung: Für Doris Ivanschitz war das die perfekte Entscheidung. Die 53-jährige Bekleidungsingenieurin arbeitete seit ihrem Studium in der Branche, kannte sich mit den Entwurfs-, Fertigungs- und Vermarktungsprozessen genau aus und hatte sich zeitweise auch schon mit einer Businessidee selbstständig gemacht. „Aus meiner Anstellung heraus hatte ich mir ein Geschäft mit nachhaltiger Businessmode aufgebaut: Meine Kostüme und Hosenanzüge aus Schurwolle und gebrauchten Jeans kamen gut an und ich konnte viele wertvolle Erfahrungen als Kleinunternehmerin sammeln, auch wenn das noch kein Start-up nach heutigem Verständnis war“, erzählt Doris Ivanschitz von dieser Zeit vor rund einem Jahrzehnt. Ihre Leidenschaft für ihre Arbeit und das Thema Nachhaltigkeit ist ihr dabei deutlich anzuhören.
Dann wurde sie Mutter: „Da habe ich die persönliche Entscheidung getroffen, meine Arbeit hintenanzustellen“, sagt Doris Ivanschitz. Mit den Jahren kam schließlich wieder mehr Regelmäßigkeit in ihr Leben und bei Doris Ivanschitz meldete sich die Begeisterung für ihren Beruf zurück. „Ich bin davon überzeugt, dass Unternehmer und insbesondere Gründer so einen Funken in sich tragen müssen, der nie ganz weggeht, egal was im Leben alles passiert. Und auch wenn viele Start-ups in jungen Jahren gegründet werden, kann es sehr sinnvoll sein, zunächst Berufserfahrung zu sammeln und dann mit viel Vorwissen durchzustarten – vielleicht auch, wenn die Familienplanung bereits abgeschlossen ist und gewisse Sicherheiten durch einen Partner vorhanden sind“, umschreibt Doris Ivanschitz die Vorteile ihrer Herangehensweise.
Die Idee für ihr Start-up StayInAKite kam ihr während der Corona-Zeit. Als begeisterte Gleitschirmfliegerin und Kite-Surf-Neuling konnte sie ihrem Hobby auch in dieser allgemein schwierigen Phase nachgehen. Und weil ihr das Thema Nachhaltigkeit schon immer wichtig gewesen war, reifte ein Gedanke in ihr: Warum nicht aus alten Segeln neue Bekleidung herstellen? Schließlich sind die Spezialstoffe für die Sportausrüstungen extrem langlebig und wetterfest.
Erste selbstgenähte Stücke kamen bei anderen Sportlern und im Freundeskreis gut an. „Da habe ich mich gefragt: Kann ich daraus nicht auch ein Geschäft und etwas Größeres machen?“, erzählt Doris Ivanschitz. „Dann bin ich das Thema aus dem Blickwinkel einer erfahrenen Technikerin angegangen: Aus welchen Materialien kann ich die Produkte am besten umsetzen? Wie kann ich meine Stücke skalieren und industriell produzieren lassen? Wie lässt sich das Thema Nachhaltigkeit in sämtlichen Bereichen umsetzen, ohne dass es unwirtschaftlich wird? Welche Hürden muss ich überwinden?“
„Ich habe jeden gefragt, der mir über den Weg gelaufen ist: Was kann ich besser machen? So konnte ich in kurzer Zeit riesige Fortschritte machen, weil ich das Feedback von vielen unterschiedlichen Menschen genutzt habe."
Alle diese Überlegungen musste Doris Ivanschitz zeitgleich anstellen – ein typisches Problem für Gründer. „Da muss man ganz klar priorisieren, sonst verliert man den Überblick und macht vermeidbare Fehler“, mahnt Doris Ivanschitz. Während sie ihr Konzept an allen Ecken und Enden ausarbeitete, testete sie parallel erste Schnittmuster an sich selbst und im Freundes- und Bekanntenkreis – für Alltagsprodukte das ideale Prototyping für angehende Gründer. „Ich habe jeden gefragt, der mir über den Weg gelaufen ist: Was kann ich besser machen? So konnte ich in kurzer Zeit riesige Fortschritte machen, weil ich das Feedback von vielen unterschiedlichen Menschen genutzt habe. Wichtig ist dabei, stets offen für Anregungen zu sein und nicht zu verbohrt seiner eigenen Ursprungsidee zu folgen“, sagt Doris Ivanschitz.
Erste Hürden traten auf, als es um die Beschaffung des geeigneten Materials in ausreichender Menge ging – schließlich sollten am Ende keine Einzelstücke, sondern sechsstellige Stückzahlen stehen. Da halfen nur Hartnäckigkeit und klassisches „Klinkenputzen“: Tausende Telefonanrufe bei Herstellern von Kite-Segeln, Surfschulen und Bekannten in der Szene sind bis heute zusammengekommen, quer durch Deutschland und Europa. Nach nunmehr rund zwei Jahren hat sich Doris Ivanschitz dadurch einen Namen gemacht. Inzwischen wird sie selbst angerufen, weil andere Unternehmen mit ihr ins Geschäft kommen wollen.
„Es ist ein großer Vorteil, wenn deine Geschäftsidee auch deinen Zulieferern etwas bringt: In meinem Fall kann ich ihnen Stoffreste abnehmen, die sonst Abfall gewesen wären. Gleichzeitig kann ich das Thema Nachhaltigkeit auf diese Weise authentisch umsetzen, was gerade als Social Entrepreneur ein ganz wichtiges Kriterium ist. Da darf man nicht nur eine Rolle spielen oder gar Greenwashing betreiben, sondern muss seinen Ansatz wirklich leben“, sagt Doris Ivanschitz. Mit der ausschließlichen Verwendung von Naturmaterialien und der Fertigung in Europa hat sie sich mit ihrem Upcycling-Ansatz ein echtes Alleinstellungsmerkmal in der Branche erarbeitet – was ihr wiederum einen Vorteil am Markt verschafft.
Doch so sehr sich Doris Ivanschitz in dem komplexen System der Bekleidungsindustrie auch auskennt: Sie ist keine Betriebswirtin. Gerade beim Wachsen eines Start-ups und wenn immer mehr B2B-Kontakte entstehen, spielen BWL, Vertrieb und Marketing eine immer größere Rolle. „Hier habe ich mir bislang oft Rat im Freundeskreis geholt, aber in Zukunft muss ich überlegen, ob ich mir da nicht professionelle Unterstützung organisieren muss. Insofern macht es natürlich Sinn, Start-ups im Team zu gründen: Mit einem Experten für das Produkt und einem weiteren Experten für das Betriebswirtschaftliche. Das würde ich beim nächsten Mal vielleicht anders angehen“, rät Doris Ivanschitz aus ihrer eigenen Erfahrung.
Externe Unterstützung zieht sie vor allem aus ihren Netzwerken, die sie sich von Beginn an aufgebaut hat, sowohl in der Surf- als auch in der Gründerszene. „Dabei hat mir das StartHub Hessen als zentrale Anlaufstelle sehr geholfen: Gerade am Anfang hat man als Gründer tausend Fragen im Kopf und weiß nicht, wohin man sich wenden soll. Für mich war es deshalb ideal, meine Ideen im Gespräch zu ordnen und die passenden Anlaufstellen genannt zu bekommen. Dass hat mit sehr viel Zeit gespart – und daran mangelt es Gründern immer am meisten“, sagt Doris Ivanschitz. Beim Wiesbadener Impact Day zum passenden Thema Nachhaltige Wirkung konnte sie sich vernetzen und neue Anregungen sammeln – und ihr Crowdfunding auf die Zielgerade bringen. „Im Gespräch mit den Experten vom StartHub kam die Idee auf, die Anschubfinanzierung für die erste Produktion auf diese Weise zu organisieren. Das war für mich auch erstmal ein ganz neues Thema, aber am Ende kamen so mehr als 18.000 Euro zusammen – viel mehr, als ich kalkuliert hatte“, freut sich Doris Ivanschitz.
Beim Crowdfunding musste sie jedoch zunächst einen Überblick gewinnen: Welche Plattform passte für ihr Projekt am besten, welche Produkte konnte sie ihren Unterstützern als Dank zur Verfügung stellen, wie musste sie das alles kalkulieren, wie konnte sie die richtigen Zielgruppen erreichen, wie zu schnelles Wachstum vermeiden? „Gerade ein zu großer Erfolg kann einem nämlich auch ganz schnell das Genick brechen: Wenn ich mich als Gründer übernehme und dann nicht das Versprochene liefern kann, leidet mein Ruf enorm. Man darf also auch nicht zu große Erwartungen wecken, sondern muss immer realistisch bleiben“, gibt Doris Ivanschitz zu bedenken.
Mit StayInAKite versucht die 53-Jährige, entlang dieser unternehmerischen Linie zu segeln – indem sie eine nachhaltige Geschäftsidee mit einem soliden betriebswirtschaftlichen Aufbau kombiniert. Dank des erfolgreichen Crowdfundings ist der Start ihrer Produktion gesichert, so dass sie bald die nächsten Schritte angehen kann: Das Etablieren ihrer Abläufe und die Erweiterung ihrer Gründer-Fähigkeiten. „Letztlich ist das alles eine Sache der hartnäckigen Übung: Am Anfang habe ich bei meinen Pitches viel zu lange gebraucht, um mein Geschäftsmodell anschaulich zu erklären, einfach weil ich das noch nie gemacht hatte. Inzwischen kann ich potenziellen Geschäftspartnern in zwei Sätzen erklären, worauf es ankommt. Diese Entwicklung bei sich selbst zu beobachten, pusht einen enorm“, sagt Doris Ivanschitz.
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