Nachhaltige Smartphones aus Nordhessen
Das erste deutsche Smartphone kommt aus einem Dorf südlich von Kassel: Die Brüder Carsten und Samuel Waldeck verbinden beim Shiftphone Hochtechnologie und Nachhaltigkeit.
Ihre anspruchsvollen Mobiltelefone werden unter möglichst fairen Bedingungen produziert und von Nordhessen aus vertrieben. Das junge Start-up zählt dabei schon zehntausende Kunden und setzt auf einen realistischen Weg, um Gutes zu tun.
Nur eine schmale Landstraße führt nach Falkenberg, einem rund 750 Einwohner zählenden Ortsteil der Gemeinde Wabern im Schwalm-Eder-Kreis, etwas südlich von Kassel. Kühe grasen gemütlich neben dem Ortsschild, Traktoren prägen das Straßenbild. Bis zum nächsten Gründer-Szenetreff in einem hippen Großstadtviertel ist es weit. Doch hier in Nordhessen hat ein Start-up seinen Sitz, das den Technologie- und Smartphone-Markt umkrempeln will – und inzwischen schon zehntausende Kunden gewonnen hat. Die Brüder Carsten und Samuel Waldeck entwickeln in Falkenberg das Shiftphone, das erste in Deutschland konzipierte Smartphone. Die beiden Pioniere wollen mit ihrem Produkt technisch überzeugen und es gleichzeitig möglichst nachhaltig und fair produzieren.
Modern und stylish sieht das aktuelle Shiftphone-Modell in jedem Fall aus – vor der Konkurrenz der Großen wie Apple und Samsung muss sich das Shift 6m optisch nicht verstecken. Die Leistung ist ebenfalls hoch: Das Smartphone verfügt über ein 5,7 Zoll AMOLED-Display, einen leistungsstarken 2,6 Ghz Helio-Prozessor, eine Kamera mit 21 Megapixeln und 4K-Auflösung bei Videos sowie über einen Fingerabdrucksensor und drahtlose Datenübertragung per NFC. Das Shiftphone soll also nicht nur Weltverbesserer, sondern auch gewöhnliche Smartphone-Nutzer ansprechen. Mit Erfolg: 2015 mit weniger als 1.000 verkauften Geräten gestartet, waren es drei Jahre später nach Schätzungen des Unternehmens schon mehr als 50.000.
Doch neben den mitten in Deutschland entwickelten technischen Raffinessen legen die beiden Brüder vor allem viel Wert auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz. „Wir sind zwar keine professionellen Nachhaltigkeitsmanager, sondern Designer und Entwickler. Aber wir haben auf vielen Reisen erlebt, unter welchen Bedingungen moderne Technik produziert wird. Dem wollen wir etwas entgegensetzen, einen anderen Weg versuchen“, erklärt Samuel Waldeck. Er und sein Bruder Carsten bleiben dabei realistisch: Sie wissen, dass sie nicht alles ändern können. „Aber wir entwickeln unser Projekt immer weiter. Angefangen haben wir mit den Bereichen, bei denen wir mit wenig Einsatz möglichst viel Gutes erreichen konnten“, so Carsten Waldeck. „Beim Umweltschutz ist das zum Beispiel die Müllvermeidung.“
Das Shiftphone ist deshalb modular aufgebaut: Nutzer können das Smartphone auseinanderbauen und per einfachem Stecksystem einzelne Teile auswechseln. „Ist der Akku kaputt oder gibt es irgendwann eine bessere Kamera, können unsere Kunden mit wenigen Handgriffen die Bauteile austauschen, ohne sich extra ein neues Handy kaufen zu müssen. Das ist besser für die Umwelt und besser für unsere Kunden“, erklärt Carsten Waldeck. Hilfestellungen zur technischen Bastelei gibt es für die Kunden über ein Wiki und einen Blog auf der Internetseite des Unternehmens, geplant ist außerdem eine deutschlandweite Community mit persönlichen Kontakten zu den Kunden. Auch ein Gerätepfand soll helfen, Müll zu vermeiden: Wer sein altes Shiftphone doch einmal ganz abgeben will, erhält 22 Euro zurück. Die Handys werden dann von der jungen Firma aufbereitet und weiterverkauft oder – wenn sie gar nicht mehr nutzbar sind – fachgerecht recycelt.
Schwieriger ist das Thema Nachhaltigkeit bei der Ressourcenproduktion für die Smartphones. Zwar verzichtet das hessische Unternehmen komplett auf das umstrittene Erz Coltan, das als sogenanntes Konfliktmaterial häufig zur Finanzierung von Bürgerkriegen in Afrika genutzt wird. Doch bei anderen notwendigen Materialien stoßen Carsten und Samuel Waldeck an Grenzen. „Wir können nicht sagen, woher genau das Gold kommt, das wir verwenden müssen. Dafür haben wir einfach zu wenig Kontrolle über unsere Lieferketten“, sagt Samuel Waldeck. Um dieses Problem auszugleichen, kaufen die Brüder Gold in der benötigten Menge aus zertifiziertem Anbau und geben es in den Markt, um so zumindest indirekt den Anteil an fairem Edelmetall zu erhöhen.
Auch die Produktion der Shiftphones stellt ein Nachhaltigkeits-Problem dar. Zwar haben die Waldeck-Brüder durch vorherige Projekte bereits langjährige Kontakte zu chinesischen Firmen und Spezialisten. Doch die Übermacht der großen Firmen ist einfach zu gewaltig. „Wir haben im Vergleich zu den regulären Smartphone-Herstellern recht geringe Produktionszahlen, weshalb wir keine passende Firma finden konnten, die nach unseren Vorstellungen zu fairen und nachhaltigen Bedingungen produziert“, schildert Carsten Waldeck die Zwickmühle der engagierten Brüder. Also initiierten sie schließlich selbst den Aufbau einer kleinen Produktionsfirma. Zwölf Mitarbeiter schrauben seitdem die Shiftphones in China zusammen – zu Bezahlung und Arbeitsbedingungen, die für das fernöstliche Land ungewöhnlich gut sind.
„Irgendwann war uns klar, dass wir einerseits selbst anders leben und arbeiten wollen. Und dass wir andererseits etwas an den Arbeitsbedingungen auf dem Technologiemarkt ändern wollen, wenn auch nur im Kleinen und für uns Machbaren.“
2014 gründeten die Waldeck-Brüder die Dach-Firma Shift offiziell, da war ihr damaliges Projekt, das Tablet Shift 7, bereits kurz vor der Fertigstellung. „Wir sind eben mehr Tüftler und Designer, als Geschäftsleute“, erklärt Samuel Waldeck lachend. Wie gut, dass Vater Rolf bei seinen Söhnen ins Unternehmen mit einstieg und sich vor allem um den „Papierkram“ kümmert. „Die Idee für unser Familien-Start-up hat sich über die Jahre entwickelt, nachdem wir alle in Hessen, Deutschland und der ganzen Welt gearbeitet und unsere Erfahrungen gesammelt hatten“, sagt Samuel Waldeck. „Irgendwann war uns klar, dass wir einerseits selbst anders leben und arbeiten wollen. Und dass wir andererseits etwas an den Arbeitsbedingungen auf dem Technologiemarkt ändern wollen, wenn auch nur im Kleinen und für uns Machbaren.“ Also setzten die beiden Brüder ihre Idee vom ersten nachhaltigen Smartphone aus Deutschland mitten in Hessen um – in dem Dorf, in dem sie aufgewachsen sind. „Hier haben wir die Natur und die Ruhe, die wir für unsere Arbeit brauchen. Außerdem können wir hier günstig Geschäftsräume finden und dank eines schnellen Internetanschlusses mit der ganzen Welt kommunizieren. Und wenn wir doch mal selbst weg müssen, sind wir in zehn Minuten auf der A 7“, sagt Samuel Waldeck.
Die perfekte Anbindung ist auch wichtig für die Logistik des Start-ups. Sämtliche Smartphones kommen aus der chinesischen Produktion nach Falkenberg, wo letzte Handgriffe angelegt werden. Dann geht es per Paketdienst zu den Kunden. Wenn diese ihre Geräte zur Reparatur einschicken, wickelt Shift alle Arbeiten ebenfalls in der nordhessischen Gemeinde ab. 14 Mitarbeiter sind in dem kleinen Dorf angestellt, darunter drei Flüchtlinge und drei Menschen mit Behinderung. Eine Handvoll weiterer Angestellter arbeitet über ganz Deutschland verteilt. „Unser Ankerpunkt ist und bleibt unsere Heimat“, sagt Carsten Waldeck. Dank einer Unterstützung durch Einladungen zum Hessischen Innovationskongress und weiteren Veranstaltungsreihen der Hessen Agentur Holding können die Start-up-Gründer dabei gleichzeitig Anschluss an andere Firmen halten und wertvolle neue Kontakte zur Branche knüpfen.
Um ihrer Heimat etwas zurückzugeben, planen die beiden Brüder derzeit ein weiteres ungewöhnliches Projekt in ihrem Dorf: Sie haben ein benachbartes historisches Fachwerkhaus gekauft, um es vor dem Verfall zu bewahren und dort neben weiteren Büros auch ein Café und einen Dorfladen zu eröffnen. „Da haben wir noch einiges zu tun, aber die handwerkliche Arbeit bei der Sanierung ist ein guter Ausgleich zu unserem sonstigen hochtechnologischen Alltag“, sagt Carsten Waldeck lachend.
Ihr Dorfladenprojekt werden die Brüder über ihre Shiftphone-Aktivitäten finanzieren. „Wir wollen mit unseren Smartphones keine Gewinne erzielen, sondern der Gesellschaft etwas Gutes tun“, fasst es Samuel Waldeck zusammen. Auf ein überdurchschnittliches Gehalt verzichten die beiden Firmengründer daher. „Einige unserer Angestellten verdienen mehr als wir, weil wir einfach nicht mehr brauchen, um hier in Falkenberg gut zu leben und unsere Träume zu verwirklichen“, sagt Samuel Waldeck, während sein Bruder Carsten bereits wieder an seinem eigenen Shiftphone herumschraubt – irgendetwas gibt es eben immer zu tüfteln bei den beiden Brüdern im idyllischen Nordhessen.
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